Dr. Peter Meier
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Die Gesichter der Diktatur

Die grössten Leiden werden noch meist als Schicksal dargestellt und deren Aufklärung verhindert...

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So war der erste chinesische Kaiser (221 v.Chr.) ein Krieger, ein Bauherr grandioser Projekte, ein Zensor des Denkens und ein paranoider Mensch, der besessen war vom den Gedanken an seine Sterblichkeit.

 

Er vereinheitlichte die Schrift und die Rechts-sprechung, standardisierte die Gewichte und Masseinheiten und zentralisierte die Bürokratie.

 

Sein berühmtestes Projekt war die Grosse Mauer gegen die Barbaren.

Grosse Diktatoren gäben ihrem Volk ein Schicksal, während Demokraten nur Zufriedenheit versprechen können - entgegen die Sympathisanten der Diktatoren den diskursiven Philosophierern. Diktatoren vollbrächten grosse Aufgaben, während die Pläne von demokratischen Politikern von Kompromissen verwässert würden. Diese Sicht wurde in der Vergangenheit von vielen Intellektuellen geteilt, die der Ausstrahlung der Macht erlegen sind. Daraus ergibt sich ein fataler Romantizismus, der Mord, bis hin zu Völkermord rechtfertigt.

Da aber keine barbarische Invasion je von der Grossen Mauer abgehalten wurde, liegt der Verdacht nahe, das Projekt des Kaisers Qin habe eher symbolischen Wert gehabt. Durch die Definition eines gemeinsamen Feindes gab die Mauer den Chinesen ein Gefühl der Einheit. Statt die Barbaren abzuschrecken, schloss sie die Chinesen ein. Den Ruf des brutalen Tyrannen erhielt er durch die Monopolisierung der Wahrheit. Dieser Gefahr der Rufschädigung wollen Philosophen dadurch entgehen, dass sie die Menschen in ein Begriffssystem einschliessen, in dem es zum guten Ton (%1) gehört, den Anspruch an Wahrheit in entsprechenden Begriffen zu pre-trans-trappen. Was damit tot wird, nennen sie dann "objektiv".
 

Revolutionäre Tyrannen sind nie konservativ. Ihr gewalt-tätiger Bruch mit der Geschichte, die Illusion vom reinen Tisch, fasziniert entsprechende Idealisten. In der Zerstörung liegt für sie auch Schönheit...

Die Idee, dass eine vollkommen neue Gesellschaft erbaut werden kann, hat die Träumer von Grosse immer angezogen. Es gehört zu den Grundfähig-keiten eines Tyrannen, genug Menschen davon zu überzeugen, den kollektiven Willen darzustellen, während sie machen, was sie wollen. Albert Speer hat das für Hitler organisiert und Joseph Goebbels hat es propagiert.

Es war die traditionelle Aufgabe der Gelehrten, die Tugenden der Könige nach den Lehren der konfuzianischen Philosophen zu beurteilen und die Herrschenden zu kritisieren, wenn sie den Anforderungen nicht genügten. Damit war ein "Check and Balance" zwischen physischer und mentaler Diktatur gegeben.

Der Qin Herrscher hatte jedoch keine Lust (+2), beurteilt oder kritisiert zu werden. Die klassischen chinesischen Philosophen seiner Zeit wurden deshalb abgefackelt, d.h. mit ihren Werken bei lebendigem Leib verbrannt. Nicht nur die Menschen hatten sich dem Tyrannen zu unterwerfen, sondern auch die Welt der leblosen Dinge. Er war sozusagen der Philosoph über die Philosophen, so wie Hitler der Mächtige über die Mächtigen (Generäle) war. Er liess alles ausradieren, was ihn an seine Sterblichkeit erinnerte.

Und um 1970 herum wurde der Ruf des Qin-Kaisers von Mao Zedong rehabilitiert, der sich als sein moderner Erbe sah. Sein Wirken wurde von ihm in einem positiven Licht, als ein gelungener Fall von Betonung der Gegenwart zu Gunsten der Vergangenheit betont. Massenmord wurde unter Maos zur reinigenden Angelegenheit. Wer sich wie die konfuzianischen Gelehrten auf die Vergangenheit berief, um etwas in der Gegenwart zu kritisieren, gilt als konservativ und wurde gemobbt.
 

Es gibt auch konservative Despoten, wie Philip II; sein Hauptwerkzeug war die Inquisition. Ein Erbe dieser Tradition war General Franco, der Spanien vierhundert Jahre später unterdrückt hat. Auch der portugiesische Diktator Antonio Salazar gehört in diese Kategorie, nicht aber Benito Mussolini, der ein Radikaler war. Er prahlte damit, die kraftlosen liberalen Demokratien zu zerquetschen, weil sie von der Vergangenheit belastet seien. Er sah sich als neuer römischer Kaiser, als Vorkämpfer einer glorreichen Zukunft. Dass er dauernd vom Römischen Reich sprach, scheint der Zukunftgerichtetheit seines Projekts zu widersprechen, aber Widersprüche haben absolute Herrscher nie gestört. Unter einem konservativen Diktator ist die Vergangenheit eingefroren, unter einem revolutionären Führer geht sie in Flammen auf. Die Freiheit wird in beiden Fällen zerstört, ebenso die Fähigkeit, um mit Vaclav Havel zu sprechen, «in Wahrheit zu leben». Erzwungene Konformität zu einer verknöcherten Tradition ist abstumpfend, der Zwang, in eine utopische Fantasie zu passen, ist meist noch schlimmer.

Hitler hatte den Geschmack eines Kleinbürgers aus dem 19. Jahrhundert, aber mit seinen radikalen Instinkte und der Reinheit seiner mörderischen Fantasien reihten in eine Linie mit den revolutionären Diktatoren. Er war näher beim chinesischen Kaiser Qin als bei Philip II. Revolutionäre instrumentalisieren die Vergangenheit, meist eine mythische, weit zurückliegende, mit der Absicht, ihre Herrschaft und deren tödliche Ziele zu legitimieren. Mao war besessen von Qin,

Stalin verglich sich mit Iwan dem Schrecklichen. Pol Pot träumte davon, den Glanz von Ankor wiederzubeleben. Saddam Hussein, ein gelehriger Schüler von Stalin, verglich sich gerne mit Saladin, der im 12. Jahrhundert Jerusalem von den Ungläubigen zurückeroberte. Egal wie grausam Nero war, seine Gladiatorenspiele im Kolosseum waren sehr populär.

Hitler-Biograf Joachim Fest ist überzeugt, dass der Führer seinen Erfolg der Liebe der Deutschen zum Spektakel verdankt. Das Dritte Reich als mörderisches Gesamtkunstwerk. Spektakel sind ein Ersatz für Politik, wie es etwa die expo.02 und ihre Bonobo-Theater waren.

Die grössten Theaterdirektoren waren Julius Caesar und Napoleon. «Ich bin zu spät gekommen», sagt er zu seinem Sekretär nach seiner Krönung, «die Menschen sind zu aufgeklärt, es gib keine grossen Aufgaben mehr.» Die Franzosen dagegen tanzten die ganze Nacht. Napoleon war auch der erste Diktator, der seine absolute Herrschaft demokratisch begründen liess.

Nach Napoleon fühlten selbst die mörderischsten Despoten die Notwendigkeit zum Lippenbekenntnis für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Nur wenige Diktatoren nach Napoleon konnten sich seinem Einfluss entziehen. Sein Hofmaler Jacques-Louis David erfand gewissermassen die heroische Bildsprache, die man heute auch aus dem sozialistischen Materialismus und der faschistischen Malerei kennt.

Viele afrikanische Diktatoren legitimierten ihre Verbrechen mit der Notwendigkeit des Kampfes gegen den ausländischen Imperialismus.

Es ist immer wieder verwunderlich zu sehen, wie sehr Diktatoren im Grunde genommen ihren alten Herren - und diese, mental gesehen, entsprechenden Philosophen gleichen.
 

Grosse Führer wollen grosse Kriege; Deren Wunden aus den Kriegen ihrer Vorgänger wurden ihre Persönlichkeit; das wurde beim Gefreiten Adolf Schickelgruber alias Hitler augenfällig, nachdem er erlebt hatte wie sein Regiment im 1. Weltkrieg aufgerieben wurde und er traumatisiert aus einem Gasangriff überlebt hatte. So vererbte sich das Übel von Geschlecht zu Geschlecht. Was das Politische betrifft, dient der Krieg dazu, von den wahren Problemen abzulenken.

Napoleons Versprechen, die Welt durch die «Kühnheit und Geschwindigkeit meiner Feldzüge zu überraschen», basierte auf demselben Prinzip. Die französische Wirtschaft litt an den Folgen der Revolution, die Kriege waren eine willkommene Ablenkung. Wellington sagte, Napoleon müsse immer in Bewegung bleiben, um den Absturz zu vermeiden.

Erst als die deutschen Armeen in Russland erfroren, begannen die Deutschen zu verstehen, welchen Illusionen man sich hingegeben hatte. Selbst zwischen den Ruinen hatten viele Deutsche offenbar Mühe, den Glauben an den Führer fallen zu lassen.

Grosse Führer kämpfen in grossen Kriegen gegen grosse äussere, aber auch gegen innere Feinde. Die blutigen Verfolgungen von Klassenfeinden, Trotzkisten, Kapitalisten, Landbesitzern, Feudalherren, Bourgeois, Intellektuellen, Bolschewiken und Juden erfolgten aus dem immer selben Antrieb: der Angst der Tyrannen, ohne klare Feinde die Kontrolle zu verlieren. Es geht darum, die eigene Paranoia zu institutionalisieren und damit das Volk in einen dauerhaften Zustand des Terrors zu versetzen. Opfer von Verfolgungen und Kriegszielen sind oft beinahe zufällig – extrem unter Stalin; ja nicht einmal deren engste Mitarbeiter sind ihres Lebens sicher. Denn sobald einem Tyrannen die Feinde ausgehen, wird er neue erfinden. Mao rief dazu die Kulturrevolution aus. Damit geht in der Welt der grossen Diktatoren das Töten nie zu Ende. Das Erschreckende an einer Diktatur ist die Bereitschaft der Menschen, an den göttlichen Willen über den Diktators zu glauben. Sie tun das nicht nur, weil sie dazu gezwungen werden, viele sind in einer massenpsychologischen Hysterie verfangen. Der Wunsch, Götter zu verehren, ist sicher menschlich und wenn die traditionellen Götter verbannt worden sind, nehmen eben Menschen deren Platz ein. Das göttliche Recht der japanischen Herrscher wurde von der politischen Autorität getrennt gehalten. Indem er sie segnete, verlieh der Priesterkönig den weltlichen Herrschern göttliche Autorität. Das war ein Grund, warum Japan in den Dreissigerjahren, anders als europäische faschistische Staaten, keinen Diktator hatte; keiner konnte es mit dem erhöhten Status des Herrschers aufnehmen oder ihn konkurrenzieren. Das konnte allerdings die Katastrophe nicht verhindern, denn jeder, der im Namen des Herrschers handelte, wie grässlich auch immer, konnte Anspruch erheben auf dessen göttliche Aura.

Viele der monströsesten Verbrechen wurden von Diktatoren begangen, die traditionelle religiöse Institutionen zerstört oder geschwächt und durch eigene Formen von Verehrung ersetzt hatten. Weder die japanischen Herrscher noch Hitler haben es geschafft, mit der Religion Tabula rasa zu machen. Sie mussten immer noch ein paar Kompromisse eingehen mit den etablierten Institutionen. Solche Probleme hatten die kommunistischen Führer nicht. Wie während der Inquisition wurden unter Stalin und Mao die Leute verfolgt und ermordet, nicht für das, was sie taten, aber für das, was sie glaubten oder sich weigerten zu glauben. Was sich nicht verändert hat, ist die menschliche Natur, das menschliche Bedürfnis, das in der Vergangenheit die Diktatoren ermöglicht hatte. Der Wunsch, jemanden zu verehren, von einem grossen Vater beschützt zu werden, sich im Licht eines siegreichen Krieges zu sonnen, sich von einem riesigen Machtspektakel hypnotisieren zu lassen, unterzugehen in einem grossen, kollektiven Gefühl, all diese Wünsche tragen wir immer noch mit uns. In der Masse stirbt es sich eben scheinbar leichter – vor allem wenn man sein Leben nicht erfüllt hat.
 

Die jetzt aussterbende Weltkriegsgeneration war von jenem Geschehen traumatisiert. Deren Nachkommen wurden vom Kalten Krieg geprägt. Jetzt werden die Menschen von allen Seiten mental angegriffen und geistig fragmentiert. Nur wer versteht hat ein Chance in sich zur Ruhe zu kommen. Deshalb erklärt nun der Zeitgeist unser Selbst als blosse Illusion - dass "er" damit davon ablenken will, dass er ja nur über sich selbst sprechen kann, wird übersehen.

Die Terroristen führen mit ihrer "Organisation" die Selbstlosigkeit vor und bringen damit das US-Imperium ins Wanken. Diese hat der entsprechenden Philosophie den Boden vorbereitet und nun zahlt es dafür den Preis.

Man fragt sich, ob das aus verschwörerischer Berechnung oder aus purer Dummheit soweit kommen konnte...

Tatsache ist, das Denken in Systemen beginnt im Westen zu degenerieren. Das war auch im Römischen Reich so; man wurde mit System grosse. Dann verbreiteten Phantasten und Tauge-nichtse, den Glauben an die politische Möglichkeit eines Perpetuum mobile, d.h. an die Illusion der Unveränder-lichkeit von Macht mit begrifflich gefassten Definitionen zementiert.

In den westlichen Demokratie wurden diese Gefühle, die zu Massenphänomenen führen, mit dem Pflichtbewusstsein, und in der Postmoderne, mit dem erreichten Konsum, mit der Förderung eine weitgehenden Beliebigkeit geschwächt. Menschen werden aber noch an Rockkonzerten oder im Sportstadium bewundert und verehrt. An diesen verbliebenen Orten kann die Aggressivität der Massenhysterie einigermassen im Zaun gehalten werden kann. Nur Frankreich und die USA, beide aus Revolutionen heraus entstanden, haben diese Anmassung, die universale Freiheit zu repräsentieren – vielleicht ist das der Grund, warum die beiden so oft uneins sind. Einer der grössten Fehler der Antiklerikalisten ist, dass sie denken, das Bedürfnis nach Spiritualität verschwinde, sobald die Kirchen geschlossen würden. Nur wenigen Leuten genügt der Verstand allein. Gemäss Zeitgeist ist es besser, die spirituellen Bedürfnisse in die Bahnen etablierter Religionen zu lenken, als dass sie für weltliche Ziele missbraucht werden. Das Verlangen nach Spektakel und Glanz kann befriedigt werden durch den Pomp öffentlicher Zeremonien, ja sogar durch die Unterhaltungsindustrie, z.B. die Regenbogenpresse. Damit kann man jeden zu seinem eigenen Diktator konditionieren…

Gefährlich wird es dann, wenn die Befriedigung dieser Bedürfnisse, neustens durch sogenannte Leitwissenschaften, monopolisiert wird. Zukünftige Diktatoren werden mehrere Fernsehkanäle und Sportclubs besitzen, wie evangelikale Priester reden, die Demokratie hassen und vor allen möglichen Feinden warnen. Es sind Männer à la Berlusconi mit grossen Ideen; sie versprechen einen Bruch mit all den kleinen, mühsamen Kompromissen und den mittelmässigen Deals der herkömmlichen Politik. Dann gibt es noch einen anderen, unauffälligeren Typus wie Putin, wir finden ihn in Russland oder in China: der kühle Technokrat, der es schafft, die aufstrebenden Mittelklassen davon zu überzeugen, dass eine Autokratie der einzige Weg ist, ein Chaos zu verhindern. Rebellierende Minderheiten, und zu Mächtige, z.B. der Ölmagnat Kordokovsky, die ihr mit harter Hand geführtes Regime kritisieren, werden z.B. im Namen des permanenten Krieges gegen den Terrorismus, vernichtet. Wirtschaftlicher Erfolg hat den asiatischen technokratischen Regierungen einen Vorteil verschafft gegenüber früheren Diktaturen. Wohlstand ohne Politik hat eine grosse Anziehungskraft, eine weit grössere als die auf den ersten Blick egalitäre Armut, die der real existierende Sozialismus schuf. Westliche Geschäftsleute und westliche Regierungen lieben es, mit Technokraten Geschäfte zu machen, denn man ist dabei unbehelligt von so mühsamen Dingen wie unabhängige Gewerkschaften und oppositionelle Parteien. So ergibt man sich der fatalen Versuchung einer Diktatur zu glauben, dass es uns ohne Politik materiell besser geht, dass toughe Macher nicht durch organisierten Widerstand behindert werden sollten. In den USA benutzt man Ängste und Wünsche dazu, das Gesetz zu vernachlässigen und Spektakel und religiöse Gefühle der Politik dienstbar zu machen. Wenn sogar die grösste Demokratie der Welt sich so verhält, wie kann da verhindert werden, dass andere sich noch viel schlimmer verhalten? 
 

 

 

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